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Pablo Gīw
Rausch, Melodie und Unberechenbarkeit: Kategorien und Genres spielen keine Rolle.
Improvisiert oder konzeptionell, freie Noise-Collagen, Globaltronics, Rausch & Melodie: Die Musik von Pablo Gīw ist nicht nur schwer in Kategorien und Genres einzuordnen, es spielt auch keine Rolle mehr. Der Kölner Trompeter (*1988) hat seit 2010 mit seinen Bands (u.a. DUS-TI, Stellar Banger, Turnbull/Gīw), Projekten (Theatermusik, Performances mit dem Tänzer Kelvin Kilonzo) und vor allem seinen Konzerten und Veröffentlichungen als Solist (CD »Never is Always«) seinen eigenen Kanon geschaffen: Komplexität und Minimalismus, zerhackte, scharfkantige Klangbrocken und lyrische Exkursionen, präzise Rhythmik und freie Interaktionen verbinden sich zu einem ganz eigenen Ausdruck.
Der Musik von Pablo Gīw kann man sich nicht nähern – man muss hineinspringen. Sie sucht die direkte Konfrontation, also nehmen wir sie an. 16. November 2019, in einer ehemaligen Garage irgendwo tief im Kölner Westen: Stellar Banger spielen, Gīw ist, natürlich, an der Trompete (und erweiternder Elektronik) zu hören. Ihre Musik ist: Nervosität, Austausch, Geschwindigkeit, Euphorie, ein Absturz, viele Vorschläge, um weiterzumachen. Man ist direkt mittendrin, die Musiker sind sofort am Anschlag, auf einem wahnsinnig hohen Level der Intensität, jede Aktion, jede Reaktion reiht sich zu einer Kette von Klang- und Rhythmusereignissen, die alle gleichwertig sind. Natürlich geht das nicht immer gut, die Musiker verfehlen sich auch, ziehen sich zurück auf eingeübte Muster, aber er geht schon wieder weiter. Und weiter und höher und tiefer.
Stellar Banger ist »nur« ein Quartett, neben Gīw hören wir Joss Turnbull und Ali Hout an den Percussion und Abed Kobeissy am Buzuk, einer arabischen Laute. Eine Köln-Beiruter Freundschaft, die am besagten 16. November 2019 ihre Deutschland-Premiere feiert. »Complex Collaborations« ist das Motto des Festivals, auf dem sie hier auftreten, es hätte für diese Band nicht besser gewählt werden können. Vordergründig handelt es sich darum, arabischen Folk in den Mix mit westlicher Disko und globaler Improvisationsmusik zu werfen, einer dieser beliebten Clashs, möchte man meinen, aber schon nach den ersten Tönen ist klar, dass diese Musik auf Durchdringung, Verschmelzung, Transgression zielt. Ist Stellar Banger nicht nur die Synthese von vier radikal individuellen Klangvorstellungen, sondern auch die von Pablo Giws bisherigem Schaffen? Naheliegend, aber auch zu einfach.
Ende 2019 blickt Gīw auf zehn Jahre Aktivismus in der Improvisations-, Elektronik- und Noise-Szene zurück. Seit 2010 arbeitet er mit Turnbull zusammen, beide erweitern ihren Radius schon bald in den levantinischen/persischen Raum, lernen in Beirut und Damaskus – das war noch vor dem Bürgerkrieg – andere Musiker kennen, knüpfen Kontakt und Rhythmen.
Ebenfalls 2010 gründet Gīw mit dem Schlagzeuger Mirek Pyschny DUS-TI: freie Improvisationen unter den Bedingungen von Rock; und Rock losgelöst von allen rhythmischen und harmonischen Beschränkungen. Giw, zu dem Zeitpunkt 22 Jahre als, Schüler von Markus Stockhausen, bereits fünf Jahre mit der Kölner Metizio-Pop-Band La Papa Verde durch ganz Europa unterwegs, setzt gleich zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn die Akzente, die sich bis heute durchgehalten haben. Es ist wie bei Stellar Banger: Der Giw-Sound ist sofort da, es gibt keine Anlauf- oder Aufwärmphase, kein Suchen & Finden. Obwohl DUS-TI mit einem minimalistischen Setting spielen – Schlagzeug, Trompete, ein wenig Elektronik, mehr nicht – ist ihre Musik von ungeheurer Präsenz, sie ist raumfüllend, und nur weil sie im Kern so reduziert ist, erdrückt sie einen nicht, lässt uns nach den ersten Momenten der Überwältigung, der heftigen Umklammerung von hinten die Luft zum Atmen. Obwohl DUS-TI unter ganz anderen Bedingungen gespielt haben (und demnächst hoffentlich wieder spielen werden) – Pyschny und Gīw hatten ihren Proberaum im Bürgerhaus Stollwerck, niemand musste eine Luftbrücke nach Beirut einrichten –, ist der Weg zu Stellar Banger kurz. Hier ebenso: keine Anlaufphase, keine Verschwendung von Zeit, keine Klischees, alle Energie fließt direkt in den musikalischen Austausch (gewisse Rockposen sind allerdings erlaubt…). Und selbstverständlich: DUS-TI haben ab 2012 ihre Musik selbst veröffentlicht, konsequente Autonomie – keine Produzenten, kein Management, keine fremden Produktions- und Vertriebsstrukturen.
Auch Gīws Sound ist über die Jahre erstaunlich konstant geblieben, oder besser: konsistent. Er entwickelt sich, provokant gesagt, nicht weiter, erst recht nicht linear, geht dafür immer mehr in die Tiefe, er wird auch subversiver – im Wortsinne: unterläuft Erwartungen. Sein Solo-Debüt, »Never Is Always« (2017), in kompletter Eigenregie zusammengestellt, produziert, abgemischt, veröffentlicht, vertrieben, ist ein Spoken-Word-Album, eine Drone- und Techno-LP, eine Improvisationsmusik für Trompete, die nicht (immer) wie eine klingt. Wie soll man das einordnen? Man muss es gar nicht, denn der Klangeindruck, die Wucht dieser Musik, das Arrangement der Stücke mit ihren kräftigen Farben zwischen pastoraler Idylle und auswegloser Düsternis – das alles spielt mit gewissen Mustern, aber nur, um sie hinter sich zu lassen, um sich tiefer in eine Welt aus Matsch und Schnee und Schlamm hinein zu wühlen.
Ein Jahr zuvor – 2016 – hat ein weiteres Duo-Abenteuer begonnen, Gīws Zusammenarbeit mit dem Tänzer Kevin Kilonzo: Die visuelle Erweiterung tut der Musik gut, Kilonzo findet rhythmisch a-rhythmische Körperbilder zu Klängen und Texten Gīws, der sich wiederum auf die sprunghafte, unberechenbare Dynamik Kilonzos einlässt. Die geglückte Improvisation ist die, die die Fragen nach dem Verhältnis von Absprache und Spontaneität vergessen lässt, weil das Resultat zu einer Musik – und mit Kilonzo: zu einer Performance – führt, die so reichhaltig und vielschichtig ist (trotz einfachster Klangvoraussetzungen), dass man sich selbst darin bewegen will.
Gīw hat seine Tonkunst zahlreichen Kontexten zur Verfügung gestellt: Er hat Theatermusik geschrieben, sie selber aufgeführt, hat mit Gefangenen der JVA Köln und der Regisseurin Elisabeth Pless ein Stück erarbeitet, er hat mit den Protagonist_innen der Köln Improvisationsszene in zig Ad-hoc-Konzerten gespielt, er hat Ideen für eine Begegnung mit Alter Musik. Stellar Banger ist 2019, 2020 ein Sehnsuchtsort – eine Utopie, denn die Band hatte bis dato nicht viele Gelegenheit, ihr Zusammenkommen zu feiern –, auf den vieles, was Gīw in den letzten Jahren gespielt hat, hinausläuft. Oder auch nicht, denn die DNA dieser Musik ist die Improvisation, die Unberechenbarkeit. Eine Geschichte erzählt von einem Mann, der dorthin laufen möchte, wo sich Himmel und Erde berühren, zum Horizont also. Man kann das als Geschichte von Vergeblichkeit und Starrsinn erzählen. Allerdings begegnet der Mann auf seinem Weg vielen eigenartigen Leuten, er schlittert in die abgefahrensten Situationen. Wir erleben, was im Laufe der Geschichte immer wichtiger wird und die fixe Idee verblassen lässt. Das ist auch die Geschichte der Improvisierten Musik, der Traum einer endlosen Reise. Wer wüsste das besser als Pablo Gīw?!
Felix Klopotek
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